Was Du beim Nähen unbedingt über „Textile Flächenkonstruktionen“ wissen solltest:
Wenn du etwas nähen möchtest, überlegst du dir sicher zuerst, was du überhaupt für ein Modell fertigen willst und als nächstes, welchen Stoff du dafür verwenden könntest.
Vielleicht machst du es auch genau anders herum? Du hast einen Stoff und suchst den geeigneten Schnitt dafür?
Es gibt so viele verschiedene Stoffe, da fällt die Wahl oft schwer.
Damit du es beim Nähen nicht zu schwer hast und am Ende ein tolles Ergebnis erzielst, müssen Material und Schnitt gut zusammenpassen.
Ich habe sehr oft erlebt, dass meine Schüler ungeeignete Stoffe für ihre Kreationen ausgesucht haben, deshalb schon beim Nähen Probleme hatten und vom Ergebnis enttäuscht waren.
Heute möchte ich dir deshalb ganz viel Grundwissen darüber vermitteln, wie du erkennen kannst, um welchen Stofftyp, das heißt, um welche Art von Flächenkonstruktion es sich handelt.
So kannst du in Zukunft viel besser beurteilen, ob deine Ware zum Schnitt oder Modell passt. Außerdem kannst du dadurch auch optimalere Nähergebnisse erzielen.
„Textile Flächenkonstruktionen“ die wichtigsten Grundlagen darüber:
Woran du die Flächenkonstruktion erkennen und unterscheiden kannst:
Alle Textilien bestehen aus Fasern.
Das können:
- Naturfasern wie Baumwolle, Leinen, Wolle und viele andere
oder
- Chemiefasern wie Viskose, Modal, Polyester, Polyamid, Polyacryl usw. sein
Sehr oft werden auch Fasern aus unterschiedlichen Rohstoffen gemischt und dann als Fasermischung weiterverarbeitet.
Schon allein aus Fasern kann man textile Flächen herstellen, hier gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten:
1. Filze:
Die Fasern sind aus Schafwollen oder Tierhaaren und werden miteinander verfilzt (die Fasern verhaken sich miteinander, weil sie an der Oberfläche geschuppt sind).
2. Vliese:
Alle anderen Fasern können nicht miteinander verfilzen, weil sie zu glatte Oberflächen haben. Deshalb können sie nur mit Hilfsmitteln wie Klebern miteinander zur Fläche verbunden werden.
Vliese kennst du sicher, weil sie oft als Einlagestoffe/Vlieseline verwendet werden.
Aber auch Papiertaschentücher, Einmalküchentücher und Toilettenpapier sind Vliese, allerdings ungeeignet für alles, das strapazierfähig und waschbar sein soll.
Wenn du nun einen Stoff anschaust und du siehst nur Fasern, die übereinander und untereinander liegen, das kann wirr oder auch geordnet sein, dann handelt es sich um einen Filz oder ein Vlies.
Die meisten Stoffe werden allerdings nicht aus puren Fasern, sondern aus Garnen hergestellt.
Dazu werden Fasern vorher zu Garnen verdreht.
Mehrere Garne können auch miteinander verdreht werden, dann entsteht ein „Zwirn“.
Aus Garnen und/oder Zwirnen werden dann textile Flächen hergestellt.
Wenn du dir etwas nähst, wirst du fast immer ein Gewebe oder eine Maschenware verarbeiten. Deshalb zeige ich dir jetzt, wie du Gewebe und Maschenwaren erkennen und unterscheiden kannst:
1. Gewebe
Du hast vielleicht schon mal selbst gewebt, das ist sicher schon lange her, in der Schule oder sogar im Kindergarten?
Beim Weben gibt es grundsätzlich 2 Fadensysteme, ein senkrechtes und ein waagerechtes.
- Die senkrechten Fäden, die auf dem Webstuhl aufgezogen sind heißen: Kette
- Die Kettfäden können gehoben und gesenkt werden
- Die waagerechten Fäden werden: Schuss genannt
- Der Schuss muss in die Kette „eingetragen“ werden
- Beim Weben findet auf diese Weise eine Verkreuzung von Kette und Schuss statt, deshalb halten die Fäden zusammen und bilden als „textile Flächenkonstruktion“ ein Gewebe
Wenn du nun einen Stoff anschaust und du siehst Fäden, die in waagerechter und senkrechter Richtung verlaufen, dann handelt es sich immer um ein „GEWEBE“, auch WEBWARE genannt.
Der Fadenlauf, der in jedem Schnittteil eingezeichnet sein muss, läuft immer in Richtung der Kettfäden, also in Längsrichtung durch den Stoff.
Die Stoffkanten, rechts und links sind die Webkanten.
Der Fadenlauf läuft deshalb immer parallel zur Webkante. Das musst du beim Auflegen deiner Schnittteile unbedingt beachten.
Der Schuss verläuft immer in Richtung der Stoffbreite, er liegt im rechten Winkel zum Fadenlauf.
2. Maschenwaren
Im Gegensatz zu Geweben kann man Maschenwaren sogar mit nur einem einzigen Faden herstellen. Das kennst du sicher vom Handstricken.
Bei industriell hergestellten Maschenwaren werden jedoch meist mehrere Fäden verwendet.
Vielleicht wunderst du dich über den Begriff „Maschenware“, dass hier nicht Strickware steht. In der Industrie werden Maschenwaren nämlich nicht nur mit Strickmaschinen, sondern auch mit Wirkmaschinen hergestellt. Deshalb ist die korrekte Bezeichnung: Maschenware.
- Alle Maschenwaren bestehen aus Fadenschlaufen, die ineinander gehängt werden, den Maschen
- Maschenwaren sind immer elastisch, da Fadenschlaufen viel beweglicher sind als gerade verlaufenden Kett- und Schussfäden in Geweben.
- Maschenwaren haben keine „Webkante“ oft werden sie als Schlauch hergestellt, der Schlauch wird danach längs aufgeschnitten
- Die Maschen, die nebeneinander liegen, bezeichnet man als „Maschenreihe“
- Die Maschen, die übereinander liegen, als „Maschenstäbchen“
Wenn du nun einen Stoff anschaust und du siehst Fadenschlaufen, also Maschen, dann handelt es sich immer um eine Maschenware.
Der im Schnitt eingezeichnete Fadenlaufpfeil muss in Richtung der Maschenstäbchen verlaufen. Du siehst, hier ist der Begriff „Fadenlauf“ genau genommen nicht richtig. Aber es gibt keinen besseren Namen dafür.
Warum nicht jede Flächenkonstruktionen zu Deinem Modell passt und was Du deshalb bei der Stoffauswahl beachten solltest:
Textilien und auch die fertigen Modelle unterscheiden sich durch ihre Flächenkonstruktion ganz stark in ihren Eigenschaften.
Der Verwendungszweck und die Einsatzgebiete können sich unterscheiden.
Auch bei der Verarbeitung ist einiges zu beachten.
Deshalb habe ich Dir die wichtigsten Punkte aufgeführt:
1. Trageeigenschaften – was sich unterscheidet:
Du hast bestimmt schon die Erfahrung gemacht, dass ein T-Shirt immer bequemer ist, als eine klassische Bluse oder ein Hemd.
Modelle aus Maschenwaren
- Sind viel elastischer und deshalb bequemer als die aus Geweben
- Leiern oft beim Tragen aus
- Knittern weniger
- Sind luftdurchlässiger
- Sind für die Reise oder den Urlaub ideal, auch nach dem Waschen reicht ein „in Form ziehen“ aus und du brauchst nicht zu bügeln
- Haben einen „Casual Chic“, du bist nie „overdressed“, das kann allerdings manchmal auch etwas zu lässig wirken
Modelle aus Geweben
- Sind dann am bequemsten, wenn zumindest in Querrichtung, also im Schuss ein paar Prozent Elastan enthalten sind
- Knittern schneller
- Der Tragekomfort ist geringer, weil sie die Elastizität von Maschenwaren nicht erreichen
- Wirken meist korrekter, eleganter und edler, sind im Businessbereich nicht wegzudenken
2. Schnitt – was ist unterschiedlich?
Bei der Schnittkonstruktion geht man normalerweise von Geweben aus.
- Werden Schnitte für Maschenwaren erstellt, dann wird genau berechnet, wie sich die Dehnungen in Quer- und in Längsrichtung verhalten und dementsprechend wird der Schnitt prozentual enger und kürzer konstruiert
- Deshalb solltest du immer darauf achten, welches Material in der Schnittbeschreibung angegeben ist
- Oft steht in der Materialangabe etwas von „Jersey“, das ist auch eine Maschenware
- Sollte keine spezielle Stoffempfehlung beim Schnitt dabeistehen, dann ist ein Gewebe die richtige Stoffqualität
- Verwende nie einen Schnitt für Maschenware, für ein Modell aus Gewebe, es wird immer zu eng ausfallen
- Wenn du ein Modell aus Maschenware nähen willst, dann sollte der Schnitt eher einfach gehalten sein und wenige Teilungsnähte haben
- Komplizierte Schnitte mit vielen Rundungen oder Ecken lassen sich aus Geweben viel einfacher nähen, bei Maschenwaren ist besonders an den Ecken die Laufmaschengefahr extrem hoch
3. Verarbeitung- was du unbedingt beachten musst
Modelle aus Maschenwaren
- Der wichtigste Tipp: du brauchst eine spezielle Nähmaschinennadel für Maschenware, mit einer Kugelspitze, damit die Maschen nur verdrängt und nicht zerschnitten werden. Mit der falschen Nadel entstehen Löcher (in der Industrie sagt man: Maschensprengschäden), die ganz schnell Laufmaschen bilden
- Diese Spezialnadeln werden meist als „Jersey-Nadeln“ bezeichnet. Sie eignen sich aber auch für empfindliche Gewebe
- Maschenwaren dehnen sich aus, deshalb musst du manche Nähte vorher mit einem aufgebügelten Einlageband oder einem schmalen Web-Bändchen sichern, z.B. die Schulternähte
- Beim Nähen dehnen die Nähte sich schnell, achte unbedingt darauf, dass du sie nicht langziehst.
- Die Gefahr von Laufmaschen ist extrem groß, besonders, wenn du an Ecken einschneiden musst. Deshalb hier immer vorher mit einem Stückchen aufgebügelter Einlage sichern
- Für die Nähte, bei denen die Dehnbarkeit erhalten werden soll, muss ein dehnbarer Stich verwendet werden
- Nähte an Maschenwaren werden nie ausgebügelt, sondern immer komplett versäubert und auf eine Seite gelegt. Lies dazu auch meinen Artikel über Nahtzugaben
Modelle aus Geweben
- Für Gewebe kannst du ganz normale Nähmaschinennadeln verwenden. Mache aber trotzdem vorher eine Nähprobe. Wenn sich im Gewebe beim Nähen Fäden ziehen, dann ist die Nadel stumpf und muss ausgetauscht werden
- Wenn der Schnitt gut vorbereitet war, dann lassen sich Modelle aus Geweben super nähen. Nur wenn Elastan enthalten ist musst du darauf achten, die Nähte beim Nähen nicht auszuziehen.
- Die Nähte können ausgebügelt werden oder gemeinsam versäubert und zu einer Seite gelegt werden. Lies hierzu auch meinen Artikel über umstechen/versäubern.
Jetzt habe ich viel über Maschenwaren und Gewebe geschrieben, wenn du nun aber tatsächlich einen Filz oder Vlies verarbeiten möchtest, dann gebe ich Dir hier auch dazu ein paar Tipps:
- Wegen der Flächenkonstruktion, nur aus Fasern, ist die Belastbarkeit von Vliesen und Filzen sehr gering. Für strapazierte Bekleidungsstücke wie Hosen oder engere Jacken ungeeignet. Da ist es besser, ein Gewebe oder eine Maschenware, die auf der Oberfläche gewalkt wurden und dadurch eine filzartige Optik haben (wie Loden oder Walkstoffe), zu verwenden.
- Für wenig strapazierte Modelle, Heimtextilien oder Deko, lässt sich Filz und Vlies jedoch sehr gut einsetzen
- Als Einlagestoffe zur Verstärkung von Oberstoffen sind Vliese ideal
- Schnitte werden wie für Gewebe erstellt, Vliese und Filze sind nicht elastisch
- Nähmaschinennadeln wie für Gewebe verwenden
- Das Kanten versäubern entfällt, es kann nichts ausfransen
Mein Tipp 1:
Schaue immer genau, welche textile Flächenkonstruktion dein Stoffartikel hat, ob du eine Maschenware, ein Gewebe oder sogar einen Filz oder Vlies vor dir hast.
Wenn du es nicht erkennen kannst, dann verwende eine Lupe, ich nehme dazu meinen kleinen Fadenzähler, den ich schon seit Studienzeiten besitze.
Den brauchst du dir aber nicht extra anschaffen.
Du kannst auch mit einer „Lupen App“ auf deinem Handy die Flächenkonstruktion deines Stoffes gut erkennen.
Schaue unbedingt beide Warenseiten an, manchmal ist die rechte Warenseite aufgeraut oder gewalkt und du kannst die Flächenkonstruktion gar nicht richtig sehen.
Mein Tipp 2:
Wenn du ein Nähprojekt planst, schaue vorher in deinem Kleiderschrank nach oder sieh dir beim Stadtbummel ähnliche Modelle an und prüfe, welche Stoffarten dafür verwendet wurden. So kannst du ganz schnell sehen, ob dir ein ähnlicher Stoff für dein geplantes Modell gefallen würde oder nicht und gezielter danach suchen.
Obwohl ich versucht habe, diesen Artikel kurz zu halten, ist er doch ziemlich lang geworden. Aber ich hoffe, es ist jetzt einfacher für dich, zu beurteilen, ob dein Stoff und dein Wunschmodell zusammen passen.
Jetzt wünsche ich dir wieder ganz viel Näherfolg mit www.näh-gern-gut.de
Deine Elsa